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Auf dem Schauplatz der Leinwand [in Kinofilmen] entfaltet sich ein anderes Szenario als auf dem der Schrift [im wissenschaftlichen Diskurs über das Kino], eine andere Form der Aktualisierung [der Filmtheorie in Bezug auf das Verhältnis von Theater und Kino], da hier an einer gewissen Differenz der Zuschauerblicke festgehalten, diese Differenz aber nur selten exponiert und noch viel weniger explizit verhandelt wird. All die Übertritte und Ortswechsel der privilegierten Besucher des Theaters [in Kinofilmen] (eine kleine Galerie: Eve, Ruth, Sobinski, Manuela aus TODO SOBRE MI MADRE, Dries aus QUAND LA MER MONTE, die adligen Habitués im Gender-Spektakel von STAGE BEAUTY) handeln auch von der Beziehung zwischen Theater und Kino. Genauer: Sie setzen eine Beziehung in Szene, die sich wesentlich über den Vor- und Nachteil von Blickpositionen definiert.


Erste Beobachtung:

Es existiert in den Filmen ALL ABOUT EVE, THE ACTRESS, TO BE OR NOT TO BE, OPENING NIGHT (um nur einige wenige zu nennen) ein relativ konsistentes Konzept der theaterspezifischen Zuschauerposition, in dem das Dispositiv des immobilen – des sistierten und monoperspektivischen – Blicks eine wesentliche Rolle spielt. Gleich ob die Theaterzuschauer dabei direkt ins Bilde gesetzt werden oder nicht, ist ihr Blick deutlich als der Blick derjenigen markiert, die weniger sehen als die Zuschauer vor der Leinwand, ganz gewiss weniger als die Kamera und auch weniger als jene vereinzelt wandernden Filmfiguren, die von Fall zu Fall ihre Position im Auditorium verlassen und auf diese Weise Einblick in die Vorgänge hinter der Bühne erhalten.

Zweite Beobachtung:

Es gibt in diesen Filmen keine programmatische Mobilisierung des Blicks, oder besser: kein Programm, die Mobilität des kinematografischen Blicks auszustellen, sie offensiv gegen den Blick aus dem Theaterparkett zu profilieren oder sie demonstrativ in Szene zu setzen, wie es etwa in Vertovs MANN MIT DER KAMERA geschieht und, weniger demonstrativ, aber deshalb nicht weniger effizient, zu Beginn eines Films wie Laurence Oliviers HENRY V. Stattdessen entwickelt sich die Mobilität meist wie selbstverständlich, als eine eher funktionale und gleichsam beiläufig gestaltete Choreografie, die ziemlich exakt jener Beziehung von Erzählung und (Kamera-)Bewegung entspricht, die David Bordwell für den klassischen Hollywoodfilm skizziert hat:

The most evident trace of the narrationʼs omniscience is its omnipresence. The narration is unwilling to tell all, but it is willing to go anywhere. This is surely the basis of the tendency to collapse narration into camerawork: the camera can roam freely, crosscutting between locales or changing its position within a single room.

(...) Wo die Kamera im Dienst der Erzählung instrumentalisiert und ihre Handhabung scheinbar durch die Diegese motiviert ist, entsteht ein spezifisches Verhältnis zum Raum, der sich in den Theaterentwürfen von APPLAUSE bis STAGE BEAUTY oft als eine relativ komplexe Konfiguration aus Passagen, Schwellen und getrennten Sphären darstellt. Zugleich existieren diese Räume keineswegs als ein ‚Schauspiel für sich‘, sondern fast nur im Aggregatzustand des Settings. Anders formuliert: Es handelt sich bei diesen Räumlichkeiten um Handlungsorte und um Schauplätze der Interaktionen von Filmfiguren, die zwischen dem Theaterfoyer und dem Parkett, dem Parkett und der Hinterbühne, der Hinterbühne und der Garderobe oder zwischen Garderobe und Bühne, Bühne und Bühneneingang, Innenwelt des Theaters und Welt des ‚Außen‘ unterwegs sind und dabei stetig neue Linien der Demarkation überqueren, was, je nach ihrer Rolle innerhalb der Figurenkonstellation, gleichsam gewohnheitsmäßig geschieht oder in Ausnahmefällen oder aber zum allerersten Mal. (...)

In seinen Ausführungen über den funktionalen Status des filmischen Raums beschreibt Bordwell die Schauplätze des Erzählkinos abwechselnd als Handlungscontainer – „a container for character action“ –, als Vehikel der Narration – „a vehicle of narrative causality“ –, als oberflächlich kaschierte Bühnenbilder – „perpetuating the playing space of (...) theater“ – und immer wieder als Orte, die nicht allein für die Zwecke der Erzählung eingerichtet, sondern auch durch die Erzählung konstituiert sind: Räume in Funktion der Bewegung einer Filmerzählung.

In dieser Funktion:

Erzähl-Raum zu sein, räumliche Bedingung der Diegese und zugleich durch die Diegese modelliert, weisen die Theater-Topografien des Kinos gewisse Ähnlichkeiten mit den Bild-Räumen jener Renaissance-Gemälde auf, die von Wolfgang Kemp unter dem Bachtinschen Stichwort des „Chronotopos“ erkundet worden sind. (...) Wie die Gemälde zeigen sich auch die Filme durch die Abstimmung von Architektur, Blickrichtung und Erzählbewegung strukturiert. Und ähnlich wie in die gemalten Raumdarstellungen sind in die kinematografischen Theaterentwürfe eine Reihe von Öffnungen eingelassen, „durch welche die Erzählung gleichsam durchprozessiert wird“, was in der Malerei meist innerhalb ein und desselben Bildes und im Fall des Films in einer Serie von Laufbildern geschieht. (Der Gegensatz zwischen dem ‚stehenden‘ und dem ‚bewegten‘ Bild ist hier tatsächlich weniger bedeutsam als ihre Gemeinsamkeit: Produktion räumlicher Ordnungen entlang einer Erzählung, durchaus entsprechend der Beobachtung de Certeaus, dass

„[d]ie Gegenstände Gemälde und Film nach den Kategorien Tafelbild vs. Erzählungen (...) eine Arbeit aus[-führen], die unaufhörlich Orte in Räume und Räume in Orte verwandelt. Sie organisieren auch das Spiel der wechselnden Beziehungen, die die einen zum anderen haben.“)

1.   David Bordwell, „Classical narration“, in: Ders., Janet Staiger, Kristin Thompson (Hgg.): THE CLASSICAL HOLLYWOOD CINEMA, S. 24–41, hier S. 30. (Hervorhebung von mir, S.D.)
  2.  Wie Bordwell wiederholt betont hat, verhält es sich de facto natürlich andersherum: die Diegese motiviert nicht die Bewegungen der Kamera, sondern die Bewegung der Kamera und der Schnitt produzieren die Diegese.   
3. David Bordwell, „Shot and scene“, in: Ders., Janet Staiger, Kristin Thompson (Hgg.): THE CLASSICAL HOLLYWOOD CINEMA, S. 60–69, hier S. 63.    
4. David Bordwell, „Space in the classical film“, in: ebd., S. 50–59, hier S. 53.
5. Ebd., S. 58.     
6. Kemp, Wolfgang: DIE RÄUME DER MALER. ZUR BILDERERZÄHLUNG SEIT GIOTTO, München 1996, S. 26.
7.  de Certeau, Michel: KUNST DES HANDELNS, Berlin 1988, S. 220.  


*Prof. Dr. Stefanie Diekmann, seit 2012 Professorin für Medienkulturwissenschaft, Universität Hildesheim; Professuren u.a. Europa-Universität Viadrina, FU Berlin, EMW Potsdam, LMU München. Monographie: BACKSTAGE – KONSTELLATIONEN VON THEATER UND KINO (2013), Hg.: DIE ANDERE SZENE. THEATERPROBEN UND THEATERARBEIT IM DOKUMENTARFILM (2014).