Spiel | Langfilm: KLASSENVERHÄLTNISSE
Nach dem Romanfragment AMERIKA/DER VERSCHOLLENE von Franz Kafka
BRD 1984, Farbe, OV, 122 min
Buch & Regie: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub nach Franz KafkaKamera: William Lubtchansky
Schnitt: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub
Darsteller: Christian Heinisch, Nazzareno Bianconi, Mario Adorf, Laura Betti, Harun Farocki, Manfred Blank, Reinald Schnell
Der 17-jährige Karl Rossmann wird von seinen Eltern in die USA geschickt. Dort erlebt er eine Reise voller Demütigungen: verstoßen von seinem reichen Onkel, gefeuert, weil er den Oberportier nicht grüßt, ausgeraubt von angeblichen Freunden findet er seine letzte Hoffnung im Naturtheater von Oklahoma.
Jean-Marie Straub, geboren 1933, und Danièle Huillet, 1936–2006, waren ein französisches Filmemacher-Paar, das gemeinsam über zwanzig Filme realisiert hat (u.a. CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH, 1967). Der jüngst verstorbene Filmemacher Harun Farocki, 1944–2014, hat eine Kurzdokumentation über die Arbeiten zu KLASSENVERHÄLTNISSE von Straub-Huillet gedreht.
Spiel oder Nicht Spiel?
Im Film KLASSENVERHÄLTNISSE findet das theatrale Spiel nicht in dem Spiel mit Rollen statt (wie beispielsweise in Jean Renoirs DIE SPIELREGEL, 1938 oder Ernst Lubitschs SEIN ODER NICHT SEIN, 1942) sondern hier geht um das Spiel an sich. Straub/Huillet eliminieren die klassischen, aus der Theatertheorie kommenden Spielfilmbegriffe der „Identifikation“ und der „Illusion“. Stattdessen setzen sie – den Methoden des Brecht’schen Epischen Theaters folgend – auf konsequent distanziertes Schauspiel. Die Schauspieler folgen nicht dem Sinn ihrer Worte, sondern der Fokus liegt auf dem Text. Die brüchige Intonation weist fortwährend auf den Schauspieler hin, der zitiert. Die filmische Interpretation bleibt offen. Gespielt wird in puristisch leeren Räumen mit ausschließlich notwendigen Requisiten. Ziel des Schauspiels ist es, wie bei Brecht, das Kino nicht als manipulative, illusionistische Maschinerie zu nutzen, sondern dem Zuschauer freizustellen, ob er emotional reagiert oder nicht. Das Spiel von Straub/Huillet ähnelt so in gewissem Maße Robert Bressons „antitheatralem Spiel“, das ein neutrales, anti-dramatisches und gestenarmes Spiel fordert, setzt sich aber gleichzeitig entschieden gegen diese Konvention ab, indem es doch permanent auf seine Gemachtheit verweist. Es wurde daher oft – einer der wenigen Befürworter war Jean-Luc Godard – als „unfilmisch“ verworfen.
Hannah Dörr