Gespräch mit Wolfram Lotz
Das Gespräch entstand am 28. März 2017 zwischen Hannah Dörr und Wolfram Lotz statt.
HD: Was ist für dich der Hauptunterschied zwischen der Realitätswahrnehmung im Film und im Theater?
WL: Im Theater treten die Dinge realistisch auf, die Körper sind da, aber dadurch dass sie die Theaterbühne betreten, verwandeln sie sich, werden de-naturalisiert und das ist natürlich was ich beim Film merke, dass mich das ganz oft stört, dass die Möglichkeit des Films, diese De-Naturalisieren eigentlich verschwindet. Aber das empfinde ich als ganz notwendig, dass die Dinge nämlich sichtbar werden als etwas Künstliches, als etwas Veränderbares wahrgenommen werden. Es ist ja auch wiederum, dass es das Natürlich auch nicht gibt. Das Natürliche im Film ist ja auf eine bestimmte Weise das, was Konvention ist, also das was sich als Natürlich institutionalisiert hat und damit gehen natürlich total viele Probleme einher. In einem Tatort ist es ja schon so, dass man wenn man die realen Vorgänge einer Ermittlung darstellen würde, würden sie sozusagen zum Teil künstlich wirken, weil sie in dieser Konvention nicht mehr enthalten sind.
HD: Das Absurde ist ja das, dass der naturalistische Film das scheinbar Natürliche imitiert. Das ist ja wie Naturalistische Theater 1850 und wie das Theater damals scheitert ja auch der Film permanent. Die Imitation gelingt ja nicht.
WL: Natürlichkeit im Film das ist eine Illusion. Ein Film wie Toni Erdmann habe ich das Gefühl, was übrigens gar nicht gegen den Film spricht, ist wie die einzige Tür, die in der Filmindustrie noch offen steht, weil sie diesem Pfad folgt, aber ihn natürlich auch ein Stückchen weiter geht und dadurch die Dinge wieder schockartig zurückkommen können. Also das spricht für den Film, gegen die Filmindustrie...
HD: Das Sympathische an den Figuren von Toni Erdmann ist ja auch, das man mit keinem Partei ergreifen kannst. Man sympathisiert mit den „Bösen“ und hebelt damit quasi Gut und Böse aus.
WL: Ja, aber das ist ja auch nichts anderes, als dass die Realität der Widerstand ist. Wenn man lang genug bei der Realität bleibt, kann man es gar nicht anders erzählen. Es ist aber natürlich in den Filmerzählungen die es meistens gibt, weil die nicht von der Realität ausgehen, sondern von Mythen, von Filmmythen. Also die ganze Drehbuch-Doktrin die es gibt, mit der Heldengeschichte etc., die handelt ja eben, obwohl sie versucht ihre Künstlichkeit verschwinden zu lassen, eben überhaupt nicht von der Realität, also eigentlich sind die Filme die totalen Meta-Erzählungen, einfach weil sie sich konstitutieren aus vorhandenen Erzählungen. Die erzählen wirklich nur das Erzählen, gerade dadurch dass sie es verschwinden lassen.
HD: Wie meinst du das?
WL: Na das passiert einfach dadurch dass man sagt, eine Filmerzählung funktioniert so und so, es muss das und das geben usw. Es gibt ja so ganz stark all diese Konventionen wie irgendwas zu sein hat, und in diesen Konventionen wird so getan als würde das menschliche Leben oder die Wirklichkeit abgebildet und die Form wäre überhaupt nicht da. Aber dadurch dass es diese Konventionen und die Form des story telling erzählt man ja eigentlich dieses storytelling, also man beginnt bei den Strukturen dieser Erzählweise und man erzählt dann eigentlich nur die und dann kommt dann natürlich irgendwas rein, aber das ist die Struktur.
HD: Man reproduziert die vorhandene Erzähl-Strukturen...
WL: Und deshalb finde ich diesen Vorwurf auch dem man dem Film macht, wenn er ins Künstliche geht, auch so schal, weil das aus der Position herkommt, „ja man will die Dinge einfach so erzählen“, als gäbe es da so eine Unschuld. Also man kann nicht über das Medium hinweg gehen und sagen man erzählt nur die Dinge, denn wenn man über das Medium hinweg geht dann muss man sich der Konvention bedienen, aber die erzählt eben nicht was in der Welt ist, sondern die erzählt nur von sich.
HD: Aber ist es so, dass du dir in deinen Stücken, so als Grundlage plot points ...
WL: Ich würde nie Plot points... Schon aus Prinzip... (lacht)
HD: Aber die Reisen in deinen Texten sind doch schon immer so die Grundlage oder? Wie Hitchcocks MacGuffin, der Anlass um loszugehen...
WL: Es geht mir schon immer darum, also auch ganz metaphorisch gesprochen, an einen anderen Ort zu kommen, also die Zukunft als einen anderen Ort... oder sowas... Damit hat das wahrscheinlich zu tun.. Aber was mich dann am Original-Roman gestört hat, ist eben, dass diese Reise im Original zumindest auch bei Apocalpyse Now eben eine Reise ist zum Ursprung, in die Natur, ist. Die Reise aus der Zivilisation in das Archaische, in das Ewige. Und dabei ging es mir eben schon darum, das zu de-naturalisieren, es zu entmystifizieren. (...) Bei dem Film gibt es am Ende diese Szene wo dieses Rind geschlachtet wird (...) und dadurch wird dieses Opfer, durch die Eintragung des Lichtes ist auf Celluloid, irgendwie beglaubigt. Und dieses Rind wird eben geschlachtet und dieses Schlachten ist am Ende das Grauen was da ist. Das Archaische und die tatsächlich Gewalt. Und das war das interessante, weil ich natürlich wusste, dass das im Schreiben und im Theater ja nicht so geht, und auch nicht so sein soll. Das Interessante ist natürlich ob das im digitalen Film noch so erreichbar war. Man sagt ja immer, das sei alles manipulierbar, aber man sieht es ja am Ende trotzdem noch ob es real ist.
HD: Das erinnert mich an Fitzcarraldo von Herzog, da gibt es doch dieses Zitat von Herzog, dass bei der Überquerung des Bootes, da waren reale Ureinwohner und dann ist da auch real jemand gestorben.
WL: Ich weiß was du meinst es geht ja auch darum, es ist dafür ja auch elementar, um es zu beglaubigen. Das ist natürlich etwas, das ist dann wieder der Realitätsglaube, der es dann irgendwie... Aber es ist natürlich bei Castorf.. auch enthalten, in dieser Verausgabung...
HD: In der realen Verausgabung...
WL: Aber die natürlich wiederum regenerierbar ist und in dem Sinne nicht zerstörerisch ist.
HD: Und die ja auch wirklich live ist. Die ist „Realität und nicht Realismus“ (Zitat von F. Castorf). Du hast in einem Interview mal gesagt „Ein Bild von Krieg ist nicht der Krieg. Das Problem ist doch, dass wir es aber immer wieder verwechseln“. Das ist ja das Problem am Film, man kann ja den fiktiven und den realen Tod gar nicht unterscheiden, das „reale“ ist ja irgendwie nicht mehr unterscheidbar vom Fiktiven.
WL: Das ist ja auch der Grund, warum das Bild, also das Material, irgendwie immer sichtbar bleiben muss. Also die Schwierigkeit ist eben, dass es ein Zugriff scheinbar auf Realität darstellt, aber das eben das alles was weggelassen ist und was man aber nicht weglassen kann um Realität zu begreifen, verschwiegen wird. Und das ist auch das Problem, medial, der Glaube man kann das alles von ihr beackern, der vermeintliche Realismus der Nachrichten, man kann seine Drohnen aufsteigen lassen, aber man hat eigentlich keinen Zugriff auf die Realität. Es bleibt virtuell. Also die Bilder sind halt einfach niemals die Realität und das dürfen sie nicht verleugnen. (...) Aber ich glaube das was Herzog meint, ist, dass sich die Dinge anders eintragen. Als wenn die Schauspieler ans Set kommen und sagen: Das ist der Text, usw. Aber das rechtfertigt natürlich dieses Opfer auch nicht... Da stellt man halt die Kunst übers Leben, und da ist man dann beim Faschismus. Die Kunst muss schon irgendwie absolut sein, aber sie muss irgendwie immer vom Leben gebrochen werden können, aber dann ... muss man die Kinder vom Kindergarten abholen ... und das ist dann auch gut für die Kunst weil sonst erzählt sie die Kunst nur vom Absoluten und da kann sie ja auch nicht stehen bleiben...
HD: Du arbeitest ja in deinen Stücken mit diesen medialen Figuren... Also spielst mit der vermeintlichen Realität...
WL: Man operiert ja mit einem Bild. Thilo Sarrazin ist ja eine mediale Figur und diese mediale Figur ist ja mit ihm auch irgendwie nicht identisch. Und auf diese Art gilt ihm auch wirklich meine Solidarität, nicht außer Acht lassend, dass er die Schwierigste Figur ist, der meine Solidarität gilt, da muss es sich halt trotzdem zeigen das Menschliche. Und eigentlich geht es halt darum dieses mediale Bild durch so Drehungen wieder zu de-naturalisieren um wieder einen Zugriff auf die Wirklichkeit zu machen und andererseits, ihn auch nicht aus der Verantwortung zu entlassen, weil eben diese Sarrazin-Sache: der arbeitet ja mit Realität, der sagt ja: die Türken zwischen 30 und 40 sind soundso, und das ist ja auch wieder nur ein Bild, das geschaffen wird.
HD: Aber das funktioniert dann ja für den Film nicht... Wenn Bruno Ganz Hitler spielt, oder Alexander Sukorov da wird der Goebbels von einer Frau gespielt, und dann bleibt ja trotzdem die Illusion...
WL: Oder wenn Katharina Thalbach Friedrich von Preußen spielt – da sieht man es natürlich sofort... Interessanter ist es natürlich wenn es in einem Flimmern, wenn es unklar bleibt, und da ist natürlich das Geschlecht als Grundformatierung natürlich das erste wo man anfangen kann zu spielen.
HD: Na wahrscheinlich stimmt das auch nicht wirklich, dass man sagt: Im Theater vergisst man nie das man im Theater ist...
WL: Ja.. Das ist ja auch das Schöne am Theater (lacht)
HD: Und im Kino vergisst du es aber...
WL: Na weil es eben ein Überwältigungskunstwerk ist
HD: Aber man vergisst es doch nicht das man im Kino. Oder? Ich kann doch nicht glauben, das Bruno Ganz Hitler ist.. Das Stimmt doch nicht...
WL: Aber da bist du dann halt wie meine Katze vor dem Fernseher, die dann der Überwältigung widerstand leistet, indem sie nur flackernde Flächen sieht. Das ist dann schon im Sinne des Mediums, aber nicht im Sinne der Filmindustrie. Wenn du dem nicht nachgibst, sondern sagst: Das ist Bruno Ganz mit einer festen Identität. Aber das ist natürlich auch das hochgradig problematische, denn im Sinne der Filmindustrie wird ja Hitler zu Bruno Ganz. Er soll real werden – und das ist natürlich auch, das sind ja auch die Effekte, dass die Realität auf eine andere Art und Weise fiktionalisiert. Also ich glaube ehrlich gesagt, dass diese Probleme mit den Rechten jetzt, nur so von meinem Gefühl her, also auch dieses Verschwinden des Holocaust, der ist ja nicht verschwunden, aber er ist doch in einem Nebel eingerückt – das was mit diesen Nazi-Filmen zu tun. Mit dieser ständigen Wiederkehr der Nazis, die irgendwie irreal geworden sind und das ist dann wieder diese Umkehrung auf eine falsche Art, weil das wiederum nicht fiktional ist. Der Holocaust, der ist zum Mythos geworden und aus der Realität zur Erzählung geworden.
HD: Ich erinnere mich an diese Schlachtung des Igels in „Einige Nachrichten an das All“. Du verbildlichst mit der Schlachtung etwas, die Struktur bleibt die Gleiche, aber dadurch, dass es eben ein neues Bild ist, der Igel und nicht das Schwein, das Rind etc. erzeugt es bei mir einen neuen Schrecken. Das erinnert mich an einen Kurzfilm von Roy Andersson, indem man sieht wie Menschen in einem LKW vergast werden, und dadurch dass es dieses neue Motiv gibt, nicht das altbekannte des Holocaust erzeugt es einen neuen Schrecken.
WL: Also es ist im Grunde nur die Struktur, oder auch von Poesie. Also in der Poesie geht es ja auch darum, dass es eine Verschiebung gibt, die alles irgendwie neu erfahrbar macht, als in diesem Sinne die Sprache. Deshalb würde ich auch sagen, dass die reine Konvention aus diesem Grund niemals Kunst ist, also es wäre für mich fast die Definition.
* Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz, und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er schreibt Theaterstücke, Hörspiele, Lyrik und Prosa und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet.